Diashow 41. Engadiner Skimarathon 08.03.2009 zurück zur Übersicht
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Tschiuuuu-tschiuuuu-tschiuuuu – das Geräusch von gleitenden Skatingskier auf eisigem Untergrund: dieses Geräusch sollte mich die nächsten Stunden bzw. 42 km begleiten. Ich bin beim Engadiner Skimarathon gestartet, zum Glück gibt es ein Frauenfeld, in welchem keine adrenalingeladenen Männer mit Ellenbogen versuchen, sich beim Starten möglichst schnell nach vorne zu schaffen. Beim Massenstart muss man mit Allem rechnen. Ich achte nicht nur auf die Läufer vor mir, auch von links und rechts tauchen immer wieder Skier und Stöcke auf. Daher laufe ich bald ganz rechts am Rand direkt neben den Klassikspuren, damit ich nur noch auf die Läufer vor und links von mir achten muss. Erstaunlich, wie viele abgebrochene Stöcke auf der Strecke rum liegen, "hoffentlich bleibt meine Ausrüstung und auch ich heil!"

Wir wurden um 9.20 h bei minus 12 Grad in Maloja auf dem See gestartet. Bereits zwei Stunden vor dem Start waren wir oben: das war vielleicht fürchterlich eisig. Leider gibt es keine Wärmehallen, da heißt es sich warme Gedanken machen und die Beine in Bewegung halten. Eine halbe Stunde vor Start geben wir den "Effektensack" mit unseren warmen Anziehsachen fürs Ziel ab und sind dann endgültig ohne warme Zweitkleidung. Der Start ist genial: erst gibt’s Aufwärmgymnastik mit flotter Musik und 2 min. vorm Start wird das dramatische alte Henry-Maske-Erkennungslied "Conquest of Paradise" gespielt; die letzten 10 Sekunden vorm Start werden runtergezählt, dann fällt der Startschuß.

Nun gleite ich mit tausenden anderen Startern über den zugefrorenen Malojasee: es läuft super, ich sause nur so über den See; echt optimal! Bald kommt der Kilometer 5; auch Kilometer 10 ist recht bald erreicht; hier gibt es erstmals Getränke, doch ich laufe vorbei; ich möchte erst in Pontresina bei Kilometer 20 anhalten und Pause machen.
Nun steht der Aufstieg zum Schanzenbuckel an. Für uns Volksläufer ist der Berg zu steil und es gibt zu viele Teilnehmer um hier hochzuskaten, daher gehen wir in mehreren Reihen eng hintereinander im V-Schritt hoch – ein Ordner mit Trillerpfeife steht oben am Berg und regelt den "Verkehr", d.h. er achtet darauf, dass sich niemand vordrängelt und alle im Gleichschritt durch die Engstelle kommen. Kaum hat man den Schanzenbuckel erklommen, gibt’s eine feine steile Abfahrt runter nach St. Moritz.
Mittlerweile scheint die Sonne schon ziemlich stark, auch der Schnee ist viel weicher als beim Start. In St. Moritz kommt man am Langlaufzentrum vorbei; ich glaube der Moderator berichtet gerade von den Spitzenläufern, die bereits kurz vor dem Ziel sind, die Glücklichen. Vor mir liegt noch der größte Teil der Strecke.
Unmittelbar nach St. Moritz geht es rechts rauf durch den Wald zum Stazer See. Am Rand steht eine Helferin und verteilt Bananenstücke: dankbar nehme ich zwei Stück und schiebe sie in beide Backentaschen; jetzt sehe ich bestimmt ziemlich witzig aus!
Immer wieder muss ich auf den Weg achten, es geht ständig irgendwelche engen Waldwege hoch; leider kann ich kaum eine Steigung mit Schwung hochskaten, da die Läufer vor mir langsamer laufen, für ein Überholmanöver fehlt mir dann doch die Kraft. Mittlerweile habe ich echt Durst, mir ist heiß unter meiner Mütze und ich bin immer noch in diesem Stazer Wald! Dann endlich kommt die lange Abfahrt, im Volksmund "Matratzenbuckel" genannt, an den Bäumen sind orange Schutzpolster (Matratzen) angebracht, damit die Langläufer, die gegen einen Baum fahren, sich nicht verletzen. Einige Stellen sind vom Bremsen der ganzen Läufer vor mir sehr vereist: "hoffentlich komme ich da gut runter ohne Sturz"! Das Schweizer Fernsehen hat hier besonders viele Kameras postiert: spektakuläre Stürze werden gerne angeschaut: jetzt kann ich nur hoffen, dass ich nicht abends zur Belustigung der Schweizer Familien diene! Deshalb fahre ich ganz vorsichtig runter und bremse; ist mir egal, wenn alle andern an mir vorbeidonnern! Hauptsache ich komme gut in Pontresina an!
In Pontresina ist der Teufel los: für die Halbmarathonis ist hier Zieleinlauf. Marathonis, denen es nicht so gut läuft, können einfach mit einem Halbmarathon abschließen., aber ich fühle mich gut und will die ganze Strecke laufen.
Jetzt mache ich erst mal ein Päuschen; öffne meine Jacke, Mütze aus, Nase putzen, die Handschuhe bleiben aus Zeitgründen an und dann werden die Speicher gefüllt. Ich stürze einen Becher lauwarme Bouillon (brrr, aber Salz tut vielleicht gut?) 3 Becher warme Rivella und 2 Becher kalte Rivella runter und laufe gestärkt weiter.
An der Talstation der Bahn Muotas Muragl überholt mich ein junger Mann, der mir bereits auf den ersten Kilometern wegen seiner witzigen weiten Hose aufgefallen ist. Kein schlechtes Zeichen, denke ich mir, dann halte ich wohl mein Tempo. Es geht steil bergab und jener junge Mann stürzt und überschlägt sich kopfüber: hoffentlich kann er noch weiterlaufen und das Rennen ist für ihn nicht zu Ende!
Jetzt kommt ein langes Stück auf dem es leicht bergab geht und mir läuft es sehr gut, durch die Trinkpause habe ich richtig Energie getankt; kann man nur hoffen, dass es so bleibt. So langsam werde ich wieder durstig; jetzt eine Cola, das wäre echt fein. Die Sonne brennt ziemlich stark und ich komme an einem Imbiss-Stand vorbei: am liebsten würde ich die Gäste um eine Cola anbetteln, aber nein, das kostet Zeit, bei Kilometer 30 gibt es ja wieder was. Tapfer bleiben, durchhalten heiß die Parole!
Endlich kommt die 30-km-Station: hier trinke ich 5 Becher Rivella und stopfe mir Bananen in den Mund. Der Schnee ist sulzig und schwer, meine Arme und Beine sind müde. So langsam merke ich, dass muskulär nicht mehr viel geht. Na toll, und das bei Kilometer 35. Ich habe doch noch 7 km vor mir. Wie soll ich das denn schaffen? Außerdem kommen jetzt die berühmt-berüchtigten "Golanhöhen": das sind mehrere Hügel, die richtig Kraft kosten. Irgendwann kommt ein Schild, auf dem steht, dass es 4 km bis ins Ziel sind. Ehrlich gesagt tröstet mich das nicht wirklich: 4 km können doch verdammt lang und hart sein. Und das sind sie für mich, jeder Stockeinsatz ist anstrengend. Auf dem letzten Hügel der Golanhöhen stehen Fotografen, ich reiße mich zusammen, versuche unangestrengt auszusehen und lächele etwas gequält, was mich zusätzlich anstrengt.
Endlich geht es steil bergab ins Stadion, ich bremse stark ab, da ich auf den letzten hundert Metern keinen Sturz riskieren möchte. Dann auf der Zielgeraden direkt ins Ziel: jetzt könnte ich alles mobilisieren und einen Schluss-Sprint hinlegen, doch leider sind die Läufer vor mir relativ langsam unterwegs und ein Überholmanöver lohnt sich eher nicht. Also skate ich gemächlich mit den andern ins Ziel und sehe meine Zeit: 3 Stunden und 47 Minuaten. Fein, unter 4 Stunden: das habe ich mir insgeheim auch erhofft. Als mir ein Kind im Ziel eine Medaille umhängt muss ich mit den Tränen kämpfen vor Rührung, Erleichterung und Freude. Ich bin heil ins Ziel gekommen; kein Ski-; Stock- oder Beinbruch; Super! Dann setze ich mich auf einen Müllcontainer und lasse meine steifen Beine baumeln, genieße die Sonne und schaue mir die andern Teilnehmer an, die ins Ziel kommen. Es gibt sogar einige, die verkleidet sind, z.B. als Sträflinge, Mexikaner, Schneewittchen und die Zwerge; welche Leistung- mit Bart und Zipfelmütze zu skaten!

Zurück fahren wir mit dem Zug nach Celerina; unser Schweizer Zugnachbar hat den Lauf zum 10. Mal mitgemacht. Er hat 2 Stunden und 40 Minuten für die Strecke gebraucht und meinte, dass dieses Jahr die Bedingungen nicht so optimal waren wegen Gegenwind und zu weichem Schnee; er sei 10 Minuten langsamer gewesen wie letztes Jahr. Wenn ich mir das dann so ausrechne, dann könnte ich vielleicht bei besseren Bedingungen noch schneller sein?! Das probieren wir nächstes Jahr wieder aus!

Doch erst mal wackeln wir mit steifen Beinen ins Hotel, duschen und liegen mit schweren Armen und Beinen und einem von der tollen Engadiner Sonne glühenden Gesicht nachmittags um 15 h bei schönstem Wetter im Bett und machen einen Mittagsschlaf. Super war's, wie kommen nächstes Jahr wieder!

Text und Bilder: Vera Kühn