Diashow Stille Hochtourengipfel in der Silvretta in Zeiten des Klimawandels, 09.07. - 11.07.2010 zurück zur Übersicht

Silvretta - mit diesem Namen verbinden viele Bergsteiger zu allererst den mächtigen Piz Buin, die elegante Dreiländerspitze und der Vollständigkeit halber den Piz Linard als höchstem Gipfel der Gebirgsgruppe. Zumindest die ersten beiden Gipfel zählen sicherlich auch zu den am meisten bestiegenen Bergen der Silvretta. Ein Umstand der manche Bergsteiger dazu bewegt auf diese klassischen Ziele, die scheinbar in jedes Tourenbuch zu gehören scheinen, zu verzichten und sich dafür die Nachbargipfel näher anzuschauen. Auf diesen Gipfeln kann man tatsächlich noch Bergeinsamkeit genießen. In diesem Sinne zog von 9. - 11. Juli 2010 einen Gruppe von Bergsteigern der Sektion Stuttgart unter Leitung von Kai Schroeder und Ingo Pfäffle los einen kleinen Teil dieser stillen Berge zu erkunden.

Schneeglocke (3223 m). Was für ein prächtiger Name. Sie rückte als erster Gipfel in unseren Fokus, zumal sie auch am Übergang vom Madlnerhaus zur Silvrettahütte liegt, welcher nach der Anreise am Freitagabend für Samstag geplant war. Schon das Klostertal zeigte sich recht einsam und man kann rückblickend fast von Glück sprechen, dass die Klostertaler Hütte eine Selbstversorgerhütte geblieben ist. Der Weg durchs Klostertal ist ebenso lang, wie sich die Schneeglocke den Blicken potentieller Besteigungsaspiranten entzieht. Erst nachdem man nach gut 2,5 Stunden die Moräne erreicht hat, erspäht man sie am hinteren Ende des Klostertaler Gletschers. Leider ist sie in Zeiten des Klimawandels zwischenzeitlich mehr Schutt- als Schneeglocke und wird ihrem Namen nur noch im Winter gerecht (und da auch viel häufiger bestiegen, als im Sommer). Auf ca. 2700 m wird dann angeseilt der Gletscher betreten und auch wenn man hier gelegentlich unangeseilte Bergsteiger trifft, auch dieser Gletscher hat Spalten! Bei ca. 3050 m wird der Gletscher an einer sehr steilen Schuttflanke verlassen, die in früheren Sommern eine Firnflanke gewesen ist und dann auch leichter, besser und mit weniger Steinschlag zu begehen war. Aber so ändern sich die Zeit und wir robbten in steilstem Schutt hinauf zum Verbindungsgrat Silvrettahorn - Schneeglocke. Dort angekommen erzählen einige Wechten davon, wie es früher hier einmal ausgesehen hat und dass der Gipfel seinen Namen sicher mal zu Recht erhalten hat. Nach knapp 5 Stunden waren alle am Gipfel angekommen, was bei einer Gruppengröße von 21 ein Sonderkompliment verdiente. Zurück ging es dann erneut über den Gletscher zur Anseilstelle am oberen Ende der Moräne. Ab hier hätten wir eigentlich gut 250 Hm absteigen müssen, um dann erneut 200 Hm zur Roten Furka aufzusteigen. Nachdem alle schon knapp 1300 Hm mit kompletten Gepäck in den Beinen hatten und durch Sonne, Hitze und Gletscher schon recht weich gekocht waren, stellt sich die Frage: gibt es keine Möglichkeit direkt, also ohne Höhenverlust, zur Roten Furka hinüberzuqueren? Der neue Alpenvereinführer schweigt sich über diese Möglichkeit leider aus, die Karte deutet eine Möglichkeit an und ein 25 Jahre alter SAC-Führer erwähnt diesen Übergang sogar als Quasi-Normalweg von der Silvrettahütte. Schnell war klar, das versuchen wir und tatsächlich standen wir nach nur 20 Min. durch unschwieriges Gelände an der Roten Furka und alle waren glücklich. Ab hier ging's dann rasch abwärts zur Silvrettahütte wo bei bestem Wetter noch lange vor der Hütte gechillt wurde. Ganz mutige, Vertreter der so genannten 'Mausbande' wagten es sogar in einem der nahen Gebirgsseen zu baden.

Signalhorn (3175 m). Das Signalhorn ist ein Gipfel, der vollkommen im Schatten des Silvrettahorns und des Piz Buin steht, obwohl es eine tolle Aussicht bietet und von der Wiesbadener Hütte aus recht imposant über dem Ochsentaler Gletscher thront. Ursprünglich war uns auch das Silvrettahorn eine Überlegung wert, wenngleich es sicher nicht zu den stillsten gehört, da es von der Wiesbadener Hütte aus doch recht leicht zu besteigen ist. Als wir dann aber vom Silvrettagletscher aus die Westflanke und den Zustieg zur Egghornlücke sahen, stand schnell fest: da müssen wir nicht hoch, schon gleich zweimal nicht mit über 20 Leuten. Auch diese frühere Firnflanke war nun schon Anfang Juli fast vollkommen verschwunden und förderte äußerst beweglichen, steinschlagförderlichen Schutt zu Tage. Die Alternativen hierzu lauteten für uns: Silvretta Egghorn oder Signalhorn. Wir entschieden uns für das Signalhorn. Zwischen Silvrettapass und Cufinlücke verließen wir den Gletscher und kletterten über Blöcke die Südrippe hinauf. Die letzten 50 Hm wurde der Fels dann steiler und etwas schwieriger so dass zusätzlich ein Fixseil installiert wurde. So erreichten wir die Ostschulter des Signalhorns (3175 m), welche von den meisten, u.a. auch von dem schon erwähnten SAC-Führer, zum Gipfel erklärt wird. Der Übergang zum 45 m hören Hauptgipfel ist technisch nicht schwierig, aber brüchig und zeitraubend . und Zeit hat man in Zeiten des Klimawandels immer weniger, denn an jeder Ecke kann eine neue Überraschung lauern, die zum Umplanen zwingt. Nach Vesper und ausgiebigem Genuss der genialen Aussicht ging's wieder auf den Gletscher runter. Ziel war nun die Cufinlücke, die uns auf den Ochsentaler Gletscher bringen sollte. So nah die Lücke auch war, schnell stand fest, zügig wird's dort nicht drüber gehen, denn auch hier zeigte sich der Klimawandel: direkt unter der Lücke waren schon gut 10 m plattiger, steiler Fels frei. Also musste auch hier gesichert werden. Damit es zügiger ging sicherten wir über das stabile Grenzschild am gleitenden Seil und den steilen Abstieg auf den Ochsentaler Gletscher mit einem T-Anker, der später noch eine Liäson mit 2 Eisschrauben einging. So konnten alle, stets gut gesichert, vom Silvretta- zum Ochsentaler Gletscher wechseln. Eine letzte Sorge war dann aber der legendäre Eisbruch des Ochsentaler Gletschers. Wird er erneut eine Überraschung für uns bereithalten? Außer einer extremen Permafrostwand, die zu queren war und an deren Boden sich die Folgen des Klimawandels in Form riesiger Steinblöcke zeigten, war hier endlich mal alles in optimalem Zustand. Während wir unter der besagten Wand allerdings ziemlich Gas gaben, um schnell aus diesem Gefahrenbereich zu kommen verabredeten sich dort offensichtlich 2 österreichische Seilschaften zum ausgiebigen Fotoshooting. Aber wer seine Tattoos auf dem Gletscher im ärmellosen Muskelshirt präsentiert und an dieser Stelle Hut statt Helm trägt stammt aus einer ebenso anderen Zeit wie die Beschreibungen der meisten Tourenführer.

Nachdem am Ende des Gletschers endlich abgeseilt werden konnte und jeder wieder eigener Herr seines Schrittes war, ging's zügig zur Wiesbadener Hütte weiter. Nach kurzer Rast stand noch der Abstieg zurück zum Madlnerhaus auf dem Programm und angesichts der breiten Piste runter wünschte sich so mancher doch ein Mountainbike . aber bei uns gab's bloß qualmende Socken.

Pünktlich mit Erreichen der Autos begann es zu Regen, perfektes Timing in Zeiten des Klimawandels.


Kai's Bildergeschichte (PDF, 4,7MB)

Text und Bildergeschichte: Kai Schroeder